Musik sollte etwas bedeuten. Daran habe ich immer geglaubt. Denn es fällt mir unfassbar schwer Musik einfach nur zu hören. Ich muss sie “fühlen” und verstehen, was der Songwriter ausdrücken will. Ich will, dass er mir eine Geschichte erzählt, die ich jedes Mal aufs neue entdecke und die mir Bilder zu meinen Gedanken liefert. Ist das irgendwie verständlich?

Das ist es jedenfalls wonach ich bei Musik suche und was ich bei Andrew McMahon’s Projekt »Jack’s Mannequin« auch entdeckt habe. Dessen 2005er Album »Everything in Transit« hat darum einen ganz besonderen Platz bei mir. Und das meine ich wörtlich. Denn es hängt als Vinyl an meiner Wand, als Dekoration und musikalisches Kunstwerk, das jederzeit wieder den Weg in meinen Plattenspieler findet. Ja, richtig gelesen. Ich besitze einen Plattenspieler und Musik auf Vinyl. Denn das Gefühl, das dir eine Schallplatte gibt, ist beim Musik hören mit nichts zu vergleichen. Und kein Album verdient es mehr als Schallplatte träumen zu lassen.
»Everything in Transit« öffnet euch die Tore zu Andrew’s Gedankenwelt mit dem Opener »Holiday from Real«, einem kurzweiliger Emorocker. Schon dort wird deutlich, womit man es bei »Jack’s Mannequin« zu tun bekommt. Denn Andrew verpasst der klassischen Rockmusik einen Kniff, der nicht zu unterschätzen ist. Man trifft sich irgendwo zwischen Pop-Punk und Elton John. Zwischen Power Ballade und Rockfetzen. Zwischen Piano und rockigen Drum Pattern.
Im Gegensatz zu seinen frühen Punk Wurzeln als »Something Corporate« ist sein zweites Projekt »Jack’s Mannequin« ein klassisches Emo/Indie Rock Album mit emotionalen Pop-Strukturen und weniger Punk Attitüden. Das Album zwingt euch so ziemlich jede emotionale Regung auf, die ihr in euch finden könnt. Denn Andrew McMahon versteht es seine Songs mit einer bestimmten Stimmungslage in Bildern zu erzählen. Entweder findet ihr euch selbst in ihnen wieder oder ihr versteht zumindest, was er gerade durchmacht. Es ist diese präzise Erzählung, die seine Songs in »Everything’s in Transit« auszeichnet.
Der Song »The Mixed Tape« ist dafür das Paradebeispiel. Es erzählt eine schlichte Liebesgeschichte, die in einem Mixtape endet, das den Partner scheinbar nicht zurück zu gewinnen versucht, sondern viel lieber gnadenlos das eigene Gefühl zurückschleudert (“I swear to God this mix could sink the sun, but it was you I was thinking of”). Es ist ein zeitweise aufs Piano konzentriertes Rockstück, das sich irgendwo zwischen Dashboard Confessionals und The Fray einreiht.
Das Lied »Dark Blue« zur Mitte des Albums ist dagegen mit fast schon unverschämt verspielten Melodien geschrieben, die an »Death Cab for Cutie« und »Rooney« erinnern, sich aber nicht scheut auf die Gefühlsdrüse zu drücken (“Have you ever been alone in a crowded room?”).
All das zeigt sich auch in »I’m Ready«, das mit poppigen Piano Melodien und schönem Gitarrenspiel überzeugt. Der Text hinterfragt auch mal die eigene Diskrepanz zwischen Herz und Verstand. (“I disconnect my heart…my head. Don’t want to recognize when things go bad). Zurecht stellt Andrew darum auch fest: “My life has become a boring pop song and everyone’s singing along”.
Das Album schafft einen ausgezeichneten Flow, der Andrew’s Gefühl für eingängige Balladen und rockige Tracks zusammenkommen lässt. Ausklingen lässt man »Everything in Transit« darum passend mit »Into the Airwaves«, das technisch gesehen ein harmonischer Popsong ist, aber noch mal ordentlich in der Death Cab Schublade wühlt und einen geschichtlichen Abschluss bringt. (“From an empty room on the first floor As the cars pass by the liquor store I deconstruct my thoughts at this piano”).
Mit ehrlichen Texten und eingängigen Melodien ist »Jack’s Mannequin« eine Zeitkapsel der frühen 2000er Jahre, als die Emowelle uns zahlreiche neue Bands und Indie-Labels ans Ufer spülte, die aus den einfachen gestrickten Punksongs frische Melodien kitzelten.
Jeder Song des Albums brilliert für mich mit seinem erfrischenden Piano Klängen und dem melodischen Gitarrenspiel, das nicht ganz so rockig ausfällt, wie man es von Something Corporate gewohnt war und stattdessen lieber das melodische Klavierspiel von Andrew McMahon in den Vordergrund rückt.
Ich weiß, dass ich extrem positiv über »Everything in Transit« schreibe. Aber das liegt auch an der eigenen Empfindung, die ich mit diesem Album und Andrew’s Liedern verbinde. Sofern es um den reinen Sound geht, seid euch bewusst, dass diese Band nicht für jeden gemacht ist. Denn Andrew McMahon hat eine gewisse selbstgerechte Art seine Weltansicht, Ängste und Zweifel in die drei “P’s” (Piano Pop Punk) zu packen. Trotzdem erzählen aber auch mal von Stärke im Akzeptieren der eigenen Fehler. Es ist eine schwierige Balance.
McMahon’s Vocals gehören zugegeben auch eher in die weinerliche Ecke, aber das ist auch zugleich seine größte Stärke, im Kontext seiner Texte, die vielen Emotionen zu vermitteln. Zusammen mit seinen melancholischen Lyrics und seinen bittersüßen Lebensweisheiten fühlt sich seine Stimme zutiefst verletzend an. Was Andrew’ für mich auszeichnet ist seine Fähigkeit dir jede Textzeile und Melodieabfolge als detailliertes Bild und Geschichte zu zeigen.
Viele Musiker lassen sich in ihren Gefühlen auch etwas zu viele Schimpfwörter oder sprachliche Härte hinreißen. Nicht so Andrew. Seine Lyrics umschreiben Gefühle, Momente und Ängste oft auch in Sinnbildern. Er trägt dabei stets eine gewisse Schwere in seinen Texten mit sich herum, aber auch immer den kleinen einsamen Lichtblick am Ende des Tunnels.
Darum zum Abschluss noch ein kurzer Hinweis auf sein vielleicht größtes Schaffenswerk. Die 2000er Emo-Hymne »Konstantin«, die ihn für viele in der Szene unsterblich gemacht hat.
Ich weiß leider auch Heute noch nicht, worüber oder über wen McMahon hier geschrieben hat und welche Intention die Wahl von »Konstantin« für ihn als Synonym hatte (I can spell Konfusion with a “k” and I can like it). Die Symbolik dahinter ist schwierig zu erkennen. Es sind aber für mich gerade die kleinen Zwischentöne, die sich einprägen (“you say the present’s just a pleasant interruption to the past”). Es ist auch seine sehr spezielle Wortwahl, die viel Raum für Interpretation zulässt (“I always catch the clock It’s always 11:11”). Der Konflikt ergibt sich erst aus der Story des Songs.
Der Song trägt die traurige schwerfällige Melodie und die einfachen, aber durchdachten Lyrics, die alle seine Projekte prägt. Also “Spin around me like a dream we played out on this movie screen”.