Mit Technomancer und Bound by Flame hatte Spiders schon eine Grundlage für ihre Spielformel gelegt, doch so ganz überzeugen wollten beide Titel nicht. Nun soll mit GreedFall aber der große Wurf gelingen. Wie sich das Rollenspiel schlägt, verrate ich euch im Test…
Die Hafenstadt der Konflikte
Videospiele folgen derzeit einem Motto. Sie müssen umfangreich, grafisch opulent und vor allem zugänglich sein. Die Zeiten, in denen uns sperrige Rollenspiele wie Baldurs Gate und Gothic unterhielten, sind scheinbar vorbei. Zumindest im Mainstream, denn mit GreedFall entführt uns Indie-Entwickler Spiders wieder in eine kantige Fantasywelt, in der Magie & Monster ihr Unwesen treiben. GreedFall zeigt sich hier nämlich als ungeschliffener Rohdiamant, dem es zwar an Feinpolitur mangelt, der aber ansonsten mit klassischen Rollenspiel- Tugenden überzeugt.
Der Titel kombiniert die Eigenschaften früherer Bioware-Spiele mit Piranha Byte’s rauer Open World und bringt damit ein herrlich frisches Rollenspiel- Kleinod auf den Markt. Das fängt schon bei der Erstauswahl eures Helden an, bei dem ihr euch zwischen Frau & Mann entscheiden dürft und damit entweder als Lord oder Lady in die Schlacht ziehen. Zuvor gilt es jedoch noch sich einer Klasse anzuschließen, die je nach Wahl verschiedene Talente besitzt und anders aufgelevelt werden sollte.
Anschließend beginnt die Reise der De Sardet Familie, die mit einer Gruppe von Siedlern und Söldner die neue Welt erobern und ein Heilmittel gegen eine mysteriöse Krankheit finden sollen. Als Diplomatin begleitet ihr darum euren Cousin Prince Constantin d’Orsay zu der neu erschlossenen Inselgruppe New Serene, wo dieser den Posten des Gouverneurs übernehmen soll. Hier zeigt sich jedoch schnell, dass zwischen den Ureinwohnern und Siedlern doch einige Spannungen herrschen. Dass die Bewohner der Hafenstadt ihre Konflikte friedlich lösen, scheint also fast ausgeschlossen. Die Dark-Fantasy, die euch hier erwartet ist tatsächlich sehr interessant erzählt und lässt die klassischen Rollenspiel- Szenarien wieder aufleben, wie sie in der frühen Spielzeit zu Gegen waren.
Nach dem geschichtlichen Einstieg, verschlägt es euch schließlich in die weitgehend offene Spielwelt von Teer Fradee, wo eine zweifelhafte Politik und eine mysteriöse Krankheit das Land beherrscht. Als taktisches Rollenspiel getarnt, dürft ihr euch im Kampf zwischen zwei Stilen entscheiden. Entweder greift ihr in Echtzeit die -frei im Feld herumlaufenden- Feinde an und schlägt euch in alter The Witcher Manier durch die Gegnerhorden oder ihr friert die Zeit kurzerhand ein, um euch übers Taktikmenü die nächsten Schritte auszudenken. Das ist fordernd, aber auch spaßig und motivierend. An Komplexität leidet es dem Spiel sowieso nicht, denn mit all den Werten, Fähigkeiten und Talentbäumen hat man als Rollenspieler ein ziemlich ausuferndes Werk vor sich. Jeder gesammelte Skill-Punkt sollte also bedacht vergeben werden.
Die Tragkraft einer Quest!
Was die spielerische Komponente angeht, so orientiert sich GreedFall offenbar sehr stark an Dragon Age. Die verschiedenen Kampfstile, zu denen ritterliche Nahkämpfer oder Magier gehören -die auf Distanz agieren- zeigen sich in einem sehr angenehmen Tempo. Trotz dieser Action Ausrichtung handelt es ich bei GreedFall um ein klassisches Rollenspiel, das vorrangig auch bei der Story funktionieren will. Das Charaktersystem ist vielfältig und zeigt sich darum auch in den zahlreichen Quest’s.
Wie schon in alten Rollenspieltagen ist GreedFall daher durch eine große Aufgabenreihe geprägt, die jedoch nicht nur einfache Sammelaufgaben, Jagdaufträge und Botengänge erfordert, sondern viel mit Diplomatie zu tun hat. Sofern ihr also euren Charisma- Level erhöht habt, dürfen Konflikte auch ohne Gewalt gelöst werden. Das sorgt für einen cleveren Twist, da jederzeit ein Dialog für den Fortschritt in der Quest sorgen kann. Dazu kommen auch eure Verbündeten, die jeweils verschiedene Talent- Attribute mitbringen und -zumindest theoretisch- einen Einfluss haben können. Abhängig von euren Fertigkeiten und Partymitgliedern bieten sich so alternative Lösungswege, wie man sie auch aus früheren Rollenspiel Giganten kannte.
Ein essentieller Bestandteil eines Rollenspiels sind allerdings auch die Feinde, die es zu bekriegen gilt und hier liefert Spiders nicht unbedingt eine Glanzarbeit ab. Zwar gibt es eine durchaus nette Palette an nett designten Gegnern, doch letztendlich wiederholen sich Soldaten & Kreaturen viel zu oft. Dadurch entwickelt man schnell ein Gefühl dafür wie welcher Feind zu Handhaben ist. Leider sind auch eure Gefährten im Kampf eher blödsinnig, als taktisch hilfreich. Dafür halten die Gefechte durch eure Kampffähigkeiten aber genügend Abwechslung bereit. Das gilt, wie schon angesprochen, auch für die Quests, wo ihr nicht nur tausende Bösewichte abschlachten sollt und anschließend Materialen aus einem Lager klaut (Ja, Ubisoft ihr seid gemeint!), sondern über z.B. eine längere Storylines hinweg ein verdächtiges Gehabe aufdeckt. The Witcher 3 lässt grüßen!
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch das Weltbild des Spiels, da man durch bestimmte Entscheidungen auch Fraktionen gegen sich aufbringt. Man hätte sicherlich aber doch noch mehr Konsequenzen erhoffen dürfen. Ganz so breitgefächert ist die Palette nämlich nicht, doch sorgen solche Schwarz-Weiß Bilder trotzdem für einen interessanten Konflikt. Zumal die Geschichte im Verlauf des Spiels verlockender wird und mit gut geschriebenen Dialogoptionen überzeugt.
Bioware, seid ihr das?
Ehrlich gesagt, kann ich mich schwer daran erinnern, wann ich zuletzt so von einem Videospiel überrascht wurde. Denn beim erstmaligen Einlegen der Spiele-Disk wird der Titel mit seiner veralteten Optik, den abgeharkten Animationen und der trägen Steuerung erst einmal negativ anmuten. Tatsächlich habe ich in diesem altbackenden GreedFall aber etwas für mich entdeckt, was mir aktuelle Triple-A Titel einfach nicht mehr geben wollen.
Während z.B. Bioware in Anthem lieber dem großen Loot-Boxen Geld hinterherläuft, Lionheart mit Fable unter Microsoft leider überhaupt nichts mehr zu melden hat, Square Enix mit Final Fantasy auf westliche Coolness baut und Ubisoft seine Assassin’s Creed Titel mit so riesigen Umfang aufbaut, dass ich den gleichförmigen Aufgaben inzwischen überdrüssig bin, erscheint GreedFall als schroffes und kerniges Rollenspiel der Frühzeit. Der Trend zu Open World, Games As A Service, All-In Kundenbetreuung gepaart mit Multiplayer (+ mittelmäßiger Story), sorgt für ziemliche Tristesse im Genre.
Da freut man sich umso mehr, wenn ein Entwickler an alte Zeiten erinnert. In GreedFall verliere ich mich nämlich stattdessen wieder in einem rauen Mittelalter- Szenario und forme meine eigene Figur. Will ich als Soldat, Techniker oder Magier durch die Gegend streifen? Will ich Schlösser knacken, Türen einreißen oder stärkere Zauber wirken können? Mache ich auf verkleideten sneaky Ninja oder gehe ich voll in Konfrontation?
Und die wichtigste Entscheidung: Bestreite ich die Kämpfe in Echtzeit oder gehe ich strategisch übers Taktik-Menü vor? Das Rollenspiel von Focus-Home Entertainment ist eine Rückbesinnung auf Singleplayer Kampagnen mit kreativen Welten, tiefgreifenden Gameplay-Mechaniken und Looten & Leveln. Darum frage ich mich, hat Bioware zufälligerweise seinen Namen in Spiders umbenannt?
Das Baldurs Gate der Moderne!
Zum Schluss noch eine Frage an euch: Habt ihr zufälligerweise A Plague’s Tale gespielt? Das spannende Szenario war hier Ausgangspunkt für eine faszinierende Kulisse, die zwar technisch und spielerisch nicht auf Höhe der Zeit war, aber ein beachtliches Design bot. Warum ich euch das erzähle? Weil dieselben Merkmale ebenso auch auf GreedFall zutreffen.
Denn optisch bringt man dem Spieler hier ein erfrischend schönes, aber auch dreckiges Welten- Design. Schon ein Blick gen Horizont genügt, um zu merken was für gute 3D-Artists bei Spiders arbeiten. Die weitreichenden Land- und Stadtgebiete sind voller Details und interessanter Level-Architekturen. Dazu kommt eine schicke Belichtungs-Engine, wie sie schon bei A Plague’s Tales eine so wunderschöne, aber auch traurig melancholisch Stimmung einfangen konnte. Dazu kommt noch, dass Spiders den einzelnen Waffen- und Ausrüstungsgegenstände sehr viel Details verliehen hat.
Zu beachten wäre übrigens noch, dass GreedFall zwar komplett mit deutschen Untertiteln versehen wurde, diese jedoch erst einmal heruntergeladen werden müssen. Deshalb solltet ihr euch nicht daran stören, dass einige Screenshots hier auf Englisch vorliegen. Dies liegt daran, dass ich zuerst ohne Day-One Patch gestartet bin. Ihr könnt aber darauf bauen, dass Focus Home Entertainment das Spiel ziemlich gut lokalisiert herausgebracht hat.
GreedFall ist technisch sicherlich kein State-of-the-Art Projekt, denn die matschigen, teils nachladenden Texturen, die geringe Polygonzahl bei den Charakteren, die schwankende Auflösung und die recht zickige Steuerung zeugen von einem Spiel, das nicht so viel Budget wie ein The Witcher, Assassin’s Creed oder Dragon Age hatte. Aber was die Entwickler hier grafisch abgeliefert, ist trotzdem sehr beachtlich. Es ist schon komisch: Dieses Spiel wirkt so, wie ich mir die dreckig, raue Welt von Baldurs Gate, Diablo & Co. als Kind immer in 3D-Perspektive vorgestellt habe.
Vielen herzliche Dank an Koch Media & Focus Home Entertainment für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplares von GreedFall für die PS4:)
Bildmaterial: ©2019 Spiders and Focus Home Interactive. Spiders and its logos are trademarks ©2019 Koch Media